Abweichende Wahrnehmung 2

von Luxus Lazarz

 

Dass die menschliche Wahrnehmung von Möglichkeiten, Dingen, Umständen und dem Leben allgemein, trotz eines sich Nahestehens, leicht bis drastisch voneinander abweichen kann, wurde mir erst im Verlauf der letzten vier Jahre, wahrlich tiefgehend bewusst. Als ich im März vergangenen Jahres, den ersten Teil zu diesem Thema schrieb, war ich aus heutiger Sicht noch beinahe blind. Ich sah wie durch ein Schlüsselloch, ohne es selbst zu bemerken.

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Wie selbstverständlich ging ich bereits als Kind davon aus, dass die Menschen die Welt und alle Bewegung darin, mit gleichen Augen sähen. Irgendwie habe ich es sogar jahrzehntelang geschafft vollkommen auszublenden, dass alle Erfahrungen in denen ich mit einem Anderen, nicht der gleichen Ansicht war, heftig dagegen sprachen. Was nicht zwangsläufig bedeutet, dass es zu Streit oder Ärgerem im Äußeren kam. Denn mit dem Reifen des Körpers, lernte auch der Verstand dazu. So begann ich irgendwann, die Tatsache der unterschiedlichen Wahrnehmung, mit Staunen und Neugier anzunehmen. Der Mensch und dessen manchmal oft gegensätzliche Sicht – von dem, was war und ist, erschienen mir zunehmend geheimnisvoll und somit auch unerklärbar. Die erste eindrückliche Erfahrung, an die ich mich in diesem Zusammenhang erinnere, ergab sich wie folgt…

An einem schönen Sonntag gingen meine Schwester und ich eine Straße entlang, die allgemein in der Stadt als beliebte Einkaufsmeile galt. Meine Schwester war damals 22 und ich 30 Jahre alt. Vor einem Schaufenster der Parfümerie Douglas, blieb die Schwester plötzlich stehen und zeigte mit Begeisterung auf ein Parfüm, welches sie als ihren absoluten Favoriten bezeichnete. Es handelte sich dabei um eine Kreation namens „Safari“, der Hersteller ist mir entfallen. Jedenfalls war die Gute total aus dem Häuschen, nur deswegen hab ich es mir wohl auch gemerkt.

Ungefähr zwei Jahre nach dem Ereignis, schlenderten das Schwesterherz und ich erneut zusammen und dieses Mal durch ein Einkaufscenter. Etwas, was wir nur sehr selten gemeinsam tun. Wir wollten ein Geburtstagsgeschenk für unsere Mutter finden. Natürlich gab es dort auch eine Filiale von Douglas. Als ich das Schaufenster sah, erinnerte ich mich sofort an die Begebenheit während unseres letzten Schlenderns. Daraufhin ergriff ich die Hand der Schwester, zog diese vor das Schaufenster und zeigte freudestrahlend auf ihr Lieblingsparfüm in der Auslage. Doch meine Schwester konnte sich weder an unseren damaligen Spaziergang erinnern – noch daran, dass dieses Parfüm einst ihr liebstes gewesen sei. Sie bestand sogar darauf, dass sie den Duftstoff noch nie benutzt hatte. Dann gingen wir weiter.

Das Ereignis ließ mich erstmals ernsthaft, an meinem Geisteszustand zweifeln. Doch nicht lange, der Alltag erforderte bald wieder meine ganze Aufmerksamkeit.

Etwa 10 Jahre nach dem Vorfall hatte sich für mich die Welt, in mir zuvor unvorstellbarer Weise verändert. Genauer beschrieben, hatte sich jedoch nur meine Wahrnehmung des Lebens erweitert. In der Freizeit beschäftigten mich zu diesem Zeitpunkt mehr und mehr geistige Dinge. Ich las die Bibel, Wunderberichte, hatte erste Erfahrungen mit Heilenergien gesammelt und war ganz wild darauf, die Welt und alles in dieser, zur allumfassenden Liebe zu bewegen. Und ich war mir gewiss, dass man zum Beispiel mittels Auflegen der Hand, Schmerzen auflösen konnte und manches sogar heilen.

In meinem Kollegenkreis befand sich ein Mann, der hin und wieder Schwierigkeiten mit seinem rechten Knie hatte. Es tat ihm dann weh und versteifte sich. Als ich ihm während einer langweiligen Dienstbesprechung anbot, meine Hand auf sein Knie zu legen, stimmte er grinsend zu. Natürlich hatten wir schon einmal zuvor über diese Möglichkeit gesprochen, sodass er meine Frage keinesfalls als Anmache missverstehen konnte. Sein Knie wurde ganz heiß und ich ließ die Hand ca. 5 Minuten liegen. Am nächsten Tag teilte mir der Kollege mit, dass die Beschwerden bereits am Abend zuvor, wie weggeblasen gewesen waren. An diesem und dem folgenden Tag wiederholten wir die Prozedur im Pausenraum und ab dann hat der Kollege nie wieder sein Knie erwähnt. Ich hab auch nicht mehr nachgefragt, alles war ja in Ordnung. Dann sah ich ihn seltener und nur im Vorübergehen, da ich an einem anderen Dienstort versetzt worden war.

Es vergingen insgesamt etwa zwei Jahre, bis wir uns zufällig in einer Werkskantine begegneten. Der Kollege freute sich, genau wie ich. Er sah zufrieden aus, doch um seinen Ellenbogen war ein Verband gelegt. Nach dem Essen saßen wir noch ein paar Minuten länger am Tisch und ich fragte ihn, nach dem Grund für den Verband an seinem Arm. Er erzählte mir irgendwas von einem Tennisarm und zu vielen Stunden am Computer. Spontan bot ich ihm daraufhin an, wieder die Hand aufzulegen. Erst lachte er, doch dann folgten verständnislose Blicke und leicht verwirrte Miene. Also erinnerte ich ihn an sein Knie und die damaligen Beschwerden. Das konnte er doch nicht vergessen haben! Doch, er hatte oder war nicht jener Kollege, dem ich einst die Hand auf sein Knie legte. Erst dachte ich, dass er mich veralbern wolle, doch letztendlich dachte er dies ebenfalls von mir. So gab ich auf, und wir lachten die Seltsamkeit des Geschehens aus unseren Herzen hinaus.

Vergessen konnte ich es jedoch nicht, denn es handelte sich um ein Geschehnis für mich, das sich nicht mehr, mit einem „das Glas ist halbvoll oder halbleer“ erklären ließ. Und das Glas der Erinnerung war offenbar, bei beiden Menschen ganz leer. Unglaublich für mich sozusagen und dennoch passierte es ganz real.

Irgendwann hörte ich jedoch auf, darüber nachzudenken und lernte zu akzeptieren, dass Menschen vieles im Leben unterschiedlich wahrnehmen und auch, dass Erinnerungen sich verändern, verblassen sowie manchmal ganz verschwinden. Was ja auch wunderbar ist, weil somit Raum für Neues zur Verfügung steht.

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Weitere Erfahrungen lehrten mich, dass ich keinesfalls verrückter als andere Menschen bin. Gleichgültig was auch auf dem Weg vor mir liegen mag, es sind stets Schatten und Licht darin zu finden. Wer zuerst den Schatten ergründet, kann dann vom Licht geleitet heiter weiter gehen. Und ich bin mir dessen gewiss, auch dem Schatten geht irgendwann die Puste aus und er gibt auf, uns zu belästigen.

 

 

Während ich Letzteres schrieb, befiel mich ein ganz seltsames Bild und Empfinden. Ich sah mich, wie ich die gleichen Worte tippte und empfand dabei, dass dies schon einmal passiert sei, schon durch mich getan wurde. Wenn ich weiß, wie man aus diesen Wiederholungen aussteigen kann und all dem Müssen, was man sich selbst antut, teile ich es sofort mit Dir und wir schwingen gemeinsam das Leben aus dem Kreisverkehr.

Natürlich mit Freude und Lachen, wie auch sonst?