5 – Die Ströme des Lebens
Das Leben ist ein grenzenloser Strom vollkommener Energie. Energie, die sich selbst formt, nährt, stillt und mehrt. Scheinbar auflöst und loslässt – was den Strom in Zeiten bindet. Wird dieser Strom mit einem menschlichen Bewusstsein gesegnet, dann kann er sich selbst entwinden, dem Griff eines jeden Gedankens von Zeit, bedürftig Sein und Vergänglichkeit.
Seltsamerweise praktiziert ein Mensch oft strenge Disziplin, große Anstrengungen und manchmal sogar die Entbehrung scheinbar unentbehrlicher Dinge, um die wahrhafte Erfahrung der Leichtigkeit und Einfachheit des Lebens zu erreichen. Nach der Erfahrung kann er das vorübergehend Entbehrte dann leicht sein lassen, oder dieses in neuer Art genießen und wertschätzen. Blickt der Mensch in die Natur und das sich in dieser tummelnde Leben, wird er dort keinerlei Anstrengung finden, denn selbst die kleinste Ameise scheint die unglaublichsten Lasten, mit Anmut zu meistern. Alles im Leben strömt, was dem Menschen sogar fühlbar ist. Das Blut in seinen Adern, die Gedanken im Kopf, der Saft in den Bäumen und selbst die Wolken – bewegen sich stetig, wenn auch manchmal scheinbar nur einen Millimeter – im Jetzt. Nichts steht jemals wahrhaft still. Jedes Teilchen ist in Bewegung – fällt, steigt, dehnt, fließt und wandelt sich.
Mit all seinen Bemühungen, den nährenden Strömen des Lebens voraus zu eilen, oder vor diesen Schutz zu finden, steht sich der Mensch an der Tür zur Leichtigkeit selbst im Weg. Betrachtet der Beobachter ein frisch in die Welt geschlüpftes Menschlein, wird deutlich wahrnehmbar, dass dieses zum Zeugen für das Strömen des Lebens – von einem Raum in den nächsten geworden ist. Dieser – aus dem Raum der Gebärmutter in die menschliche Welt schlüpfende Strom des Lebens, wird auf der Erde in Form eines Kindes in Empfang genommen. Der Körper des Kindes, welcher bereits den strömenden Geist eines Menschen in sich trägt, ist ebenfalls ein Strom des Lebens, der sich selbst aus seinem Innersten und dies in absolut unsichtbarer Tat, zu erstaunlicher Entwicklung und überraschendem Wachstum anregt. Jeder menschliche Körper ist ein sichtbarer Strom des Lebens, welcher durch den menschlichen Geist und mittels Wahrnehmung verdichtet wird und somit Form und Greifbarkeit gewinnt.
Während die sichtbaren Ströme des Lebens, welche sich in menschlichen, tierischen, pflanzlichen und mineralischen Lebensformen ausdrücken – scheinbar voneinander getrennt existieren, gibt es darüber hinaus – die ungezählten, nicht direkt sichtbaren Ströme des Lebendigen.
Die Frucht von Baum und Strauch löst sich mit der Reife vom tragenden Strom. Wird auf andere Art in weitere Ströme fallen gelassen und eingebracht. Manchmal ist es ein Mensch, welcher sich zum Beispiel einen Apfel einverleibt und so diesen in den eigenen Lebensstrom gibt. Doch dort kann der Apfel nicht ewig bleiben, denn er gehört zur Natur und deren wandelbaren Geschöpfen. Jeder lebendige Körper, der ein Bewusstsein in sich trägt, kann sich von dieser Art Lebensstrom und dessen Rückständen selbst entledigen. Das nennt sich dann Verdauung und Entsorgung. Der körperliche Strom in sich selbst ist vollkommen, sorgt für sich auf magische Art. Das einzige Wesen, welches die Harmonie im Strom des lebendigen Körpers stören oder beeinflussen kann ist der Mensch, mittels Geist, Verstand und Gefühl.
Auch die Sorgen des Verstandes entstammen einem Strom. Allerdings keinem Lebendigen. Alle Sorgen sind nur aus dem Vergangenen beziehbar. Ob auch das Kommende der Sorge bedarf, kann man erst wissen, wenn das Kommende im Jetzt wahrnehmbar wird. Alles andere ist Fantasie, oder eine Angst vor Wiederholung von bereits Erfahrenem. Aus all den irgendwie, irgendwann und irgendwo erbeuteten Sorgen, bastelt sich der Verstand des ordentlich beschulten Menschen – seinen ganz persönlichen Sorgenkanal. Kanäle sind keine natürlichen Ströme, ihre Grenzen wurden willkürlich gewählt. An diesen kann Mensch sich beharrlich Erproben und Verlustieren. Ein Strom, der sich jedoch in wahrhaft Nichts auflöst, wenn der Mensch sich der Ströme des Lebens und ihrer Wirkungen wahrhaft bewusst wird. Dass in allem, was je erdacht wurde, auch überwiegend etwas Schönes enthalten ist, kann man sogar in der Sorge erkennen. Denn ewig währt deren Bereitschaft zum Vergehen, wenn der Mensch sie tatsächlich aus seiner Wahrnehmung ziehen lässt.
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Am Beginn ist der Mensch reines Fühlen. Das Sehen und Verstehen kommen erst mit dem Reifen hinzu. Im „Normalfall“, der alle anderen Fälle überwiegt, wird der Mensch in einen Raum geboren, in dem es Menschen gibt, die ihn lieben und für ihn sorgen, ohne dass der kindliche Lebensstrom – seinen Bedürfnissen mittels Worten Ausdruck gibt. Des Kindes Möglichkeiten sich mitzuteilen, sind von der einfachsten Art. Es genügt ein Schreien, ein Weinen, ein Lächeln und Glucksen, um alle menschlich geformten Lebensströme im nahen Umfeld dahinführend zu bewegen, dem Kind alles zu geben, wonach es sich sehnt. Das Kind wird gestillt, gesäubert, gewiegt. Spielerisch und leicht entwickelt sich mit dem Wachsen des Körpers die Neugier des Kindes auf das Leben, welches das Kind umfließt und durchströmt. Umfließt in für das Kind sichtbaren Strömen, die nach und nach Konturen bekommen, dichter erscheinen, Töne von sich geben und zum festen Bestandteil – der zuvor fließenden Welt des Kindes werden.
Der Strom des Lebendigen fließt seit Ewigkeiten, doch das Auge des Menschen scheint zu erblinden, noch bevor es wahrhaft sehend wird. Deshalb schau wieder hin, überall ist Licht und Liebe drin. Gewöhn dich daran und mach damit doch einfach das Beste aus allem und dir.
Jawohl, geliebte Seele, das tue ich Jetzt!