Immer wieder jetzt

von Luxus Lazarz

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So manch ein Mensch geht die Straße entlang und ihm kommt ein anderer Mensch entgegen, von dem er sich auf seltsame Art angezogen fühlt. Oder man begegnet an ungewohntem Ort einem Bekannten und genau so, wie in dem Song vom tausendmal berührt beschrieben, passiert es einfach. Im Allgemeinen genügt sogar der Anblick einer Blume oder des Sonnenuntergangs. Rasant wird aus dem Funken ein Feuer, welches gar nicht mit Wünschen oder Vorstellungen angeheizt werden braucht, weil es brennt und leuchtet, wie schon lange nicht mehr oder gar wie noch nie. Im allgemeinen Sprachgebrauch nennt man dies verliebt.

Man könnte es auch sich verlaufen nennen, denn für einen winzigen Moment hat man die Orientierung verloren und ist vollkommen unschuldig einen Schritt vom Weg abgekommen. Also vom weltlich propagierten rechten Weg. Jenem Weg, auf dem man sich von Terminen, Sorgen, Plänen und gewohnheitstreu vom Ernst des Lebens führen und begleiten lässt.
Doch nun ist dies ganz plötzlich alles nicht mehr wichtig. Man merkt nicht einmal, dass man die Alte Welt verlassen hat und stattdessen im Wohlgefühl steht. Steht in einer Welt, die man zuvor weder sah noch fühlte. Und obwohl sich rein äußerlich nichts verändert hat, fühlt man sich so anders in diesem Moment. Denn man ist frei im Geist und genießt den Augenblick, von dem keiner weiß, wie er sich weiter gestalten wird. Nur das, was jetzt wirklich passiert, zählt. Es ist genug. Im Innersten ist gar kein Raum mehr für anderes, als das Glück und den Zauber des Jetzt, wenn ein Mensch in die Liebe zurückgekehrt ist.

Ab dem ersten Moment nimmt man nun die Welt mit anderen Augen wahr. Mit Augen, die lieben, die weder vergleichen noch kritisieren oder herablassend blicken. Zwar scheint es die gleiche Welt, wie zuvor zu sein, doch irgendwie ist diese jetzt heller und nicht mehr dieselbe, welche man ohne Liebe sah.

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Angeregt wurde die vorstehenden Gedanken, durch das Lesen und Verinnerlichen der nachfolgenden Worte aus dem Evangelium des Thomas:

(113) Seine Jünger sprachen zu ihm: „Das Königreich, wann wird es kommen?“ Jesus sprach: „Es wird nicht kommen, wenn es erwartet wird. Man wird nicht sagen: Seht, hier, oder seht, dort. Sondern das Königreich des Vaters ist ausgebreitet über die Erde, und die Menschen sehen es nicht.“1

Als ich mich noch für einen Workaholic hielt, habe ich es auch nicht gesehen. Mein Kopf war viel zu voll, um den Blick dem tatsächlich Gegebenem im Jetzt zuzuwenden. Zum Beispiel die schönen und großen Bäume an den Rändern der Straßen, durch die ich lief oder fuhr, habe ich viele Jahre gar nicht bemerkt. Überall sah ich nur den Schmutz und die Fehler in der Welt. Und was so die Geräusche in einer Großstadt anbelangt, nahm ich mich manches Mal gar als in der Hölle auf Erden angekommen wahr. Bis ich eines Tages entdecken durfte, dass der Lärm im Außen, unmittelbar mit dem Chaos in meinem Kopf zusammenhing. Nämlich stets dann, wenn ich vor Erschöpfung still wurde, passte sich die Welt wiederholt dieser Stille an.

Tatsächlich vergaß ich bei vielerlei Gelegenheit an den Geräuschen zu hängen, mich über diese zu ärgern, und so brauchte ich sie bald nicht mehr hören, weil mein Lauschen nun der Stille in mir galt. Eventuell hört sich das ja seltsam an, doch schreie mal in einen leeren Raum. Dann kann man bemerken, dass der Schrei verhallt und nur die Stille bleibt, weil diese das pure Leben in uns ist. Und wenn man diese Stille in sich hält, dann dehnt sie sich aus und umfasst alles im Umfeld, wird zu purer Lebendigkeit, die durch den Körper strömt und sich ausdehnt in die Welt.

 

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1Evangelium des Thomas

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