Das Urteil 2
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„Die Schuldlosen und die Schuldigen sind völlig außerstande, einander zu verstehen. Jeder nimmt den Anderen, wie sich selber wahr, was beide unfähig macht, miteinander zu kommunizieren*, weil jeder den Anderen anders sieht, als dieser sich selbst.“ (Ein Kurs in Wundern, Textbuch, Kap. 14, IV., Abs. 10)
Man könnte es nicht besser formulieren, doch in anderer Art ist es bereits in der Welt bekannt. Dass der Finger des Urteilenden, mit dem wir auf den Anderen weisen, stets auf dich und mich selbst zeigt, wirst du bestimmt schon einmal gehört haben. Dies ist wahre Gerechtigkeit, da uns das Urteil letztendlich selbst trifft, damit wir im eigenen Leben erfahren, dass der Andere nur tat, was er tat, weil er es nicht besser wusste oder tun konnte. Auch in der Bibel steht bereits geschrieben: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ Es handelt sich also beim Vorstehenden um einen Hinweis, der bis in unsere heutige Zeit hilfreich ist und gültig bleibt.
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Bis in das Jahr 2003, dachte Karin, dass jene, die den Staat in irgendeiner Form betrügen, schlechte Menschen seien. Bis dahin hielt sie sich für eine überaus korrekte Bürgerin. Doch dann wurde Karin arbeitslos und schließlich sogar Harz IV-Empfängerin. Um aus der Misere oder auch Zwangsjacke, wieder heraus zu kommen, wollte sie sich eine Selbstständigkeit aufbauen. Dazu brauchte Karin jedoch Mittel, die sie fleißig und gern erarbeiten wollte. Doch die Maßstäbe des Amts waren, wie sie erfuhr, derart eng und hart bemessen, dass alles, was Karin über das vom Amt zugebilligte Maß dazu verdiente, dem Amt gemeldet werden musste und ihr sodann, vom monatlichen Unterhaltsgeld wieder abgezogen wurde. Das Maß betrug damals 100 Euro pro Monat, die Karin hinzuverdienen durfte. Mehr bewilligte man ihr nicht. Da das Gewährte jedoch, schon von Amtswegen – hinten und vorne nicht ausreichte, denn Karins ganz normaler Lebensstandard war auf einem guten Einkommen aufgebaut worden, verschwieg sie dem Amt drei Monate lang den Umstand, dass sie jeweils 30, 40, 50 Euro mehr verdient hatte, als ihr offiziell gestattet worden war. Somit wurde Karin genau zu der Art Betrüger, auf die sie vorher selbstgerecht mit dem blanken Finger gezeigt hatte.
Dennoch war es eine gute Erfahrung, denn nur derart konnte Karin letztendlich einsehen, wie sehr sie sich irrte, als sie noch dachte, der Andere wäre ein Betrüger, wenn dieser sich nicht an die Vorschriften hielt. In Wirklichkeit war der Andere lediglich in finanzieller Not und wusste sich nicht, anders zu helfen. Nach ihrer Einsicht, wendeten sich die Verhältnisse wieder für Karin tatsächlich schnell. Damals dachte sie dann, dass die Vorschriften Schuld an ihrer Unbeweglichkeit gehabt hätten. Doch auch darin irrte sie sich erneut. Wieso, weshalb und warum, tut jedoch hier nichts mehr zur Sache hinzu.
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Schuldlos ist lediglich der, der in seinem Nächsten keine Schuld sieht. Sich selber schuldig, spricht sich damit allerdings jener, der in seiner Welt irgendeine Schuld im Anderen wahrnimmt. Hier ist keinesfalls die Rede von der fernen oder Medienwelt. Es betrifft das ganz Alltägliche und anscheinend selbstverständliche Schuld zuweisen. Allgemein ist wahrlich niemand wirklich schuldig, da immer noch für einen jeden von uns gilt,
Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
Will man diesen Gedanken allerdings für sich in Anspruch nehmen, dann wird dies jedoch nur echte Wirkung zeigen, wenn dies aus unserer Sicht und in Echtzeit, auch für jeden Anderen gültig ist. Ein Vergleichen bringt hier niemand weiter, denn letztendlich kommt es nicht auf die Größe der Schuld an, um unter dieser zu leiden. Mit einem schlechten Gewissen zu ringen, sich klein zu machen, krank zu ängstigen oder ähnliches – sind alles Zustände, auf die man durch tatsächliche Nächstenliebe wirklich und jederzeit verzichten kann. Es ist auch gar nicht möglich, sich tatsächlich besser oder schlechter zu machen, als man den Anderen wahrnimmt. Letztendlich stehen wir alle nackt da und nur die Liebe, die man im Leben gab, hat es wahrlich wertvoll gemacht.
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* Kommunikation findet stets dort statt, wo man wirklich ein gemeinsames Ziel hat und sich dadurch miteinander verbunden fühlt. Diskussion wiederum, ist eine Kreuzung zweier Wege, die sich offenbar nicht miteinander vereinen lassen. (Siehe auch Kap. 4, Abschnitt IV )
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