Der ewige Faden

von Luxus Lazarz

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Der Mensch, also auch ich, glaubt zu wissen, wie und was das Leben ist. In diesem, seinem offensichtlichen Irrtum, hängt er in tragisch-komischer Weise der offenkundigen Meinung an, all diese Fäden, aus denen sein Leben gewirkt ist, in der eigenen Hand zu haben.
Von Beginn an hält er die Fäden meist mit der rechten Hand, doch stets dann, wenn ihn im Innersten eine schwer zu ertragende Emotion beschleicht, kann auch schon mal ganz unbemerkt ein Teil der Fäden in seine linke Hand gleiten. Und da dies nur eine Teilansicht aller Bereiche des formgebundenen irdischen Lebens beinhaltet, stiftet, die ebenfalls unbemerkt daraus folgende Verwirrung Muster, welche dann den Menschen beidseitig prägen. Allerdings dies nur mit vorübergehendem Sinn und Verstand. Noch übler ist es, wenn alle Fäden links liegen, denn ein jeder Rechtshänder weiß aus Erfahrung, dass man mit links nur unsicher ist und dies seltenst erwünschte Resultate mit sich bringt. Hier geht es dann nur noch um den Sinn, der Verstand geht zwischenzeitlich verloren, in den Wogen der aufwallenden Emotionen.

Doch selbst dann, wenn man die Fäden beständig in der rechten Hand hielte, wird man in Situationen geraten, in denen dem Menschen allerlei Fäden, in unerklärlicher Art aus der Hand gleiten oder auch genommen werden. Letzteres von einem scheinbar Stärkeren, und man kann gar nichts dagegen tun. Die Fäden sind einfach weg, irgendwo am Wegesrand verloren und trotz aller Bemühungen nicht wiederzubekommen. Kindheit, Schönheit, Ehre, Macht und sogar das Wohlbefinden, können durch fadenscheinige Abgründe aus des ungläubig Staunenden Leben schwinden.

Am Beginn allerdings, ist da nur ein einziger Faden. Ein scheinbar ganz dünner und noch dazu fast unsichtbar. Die Hand des Säuglings ist ja auch klein und noch ungeübt im dauerhaften Festhalten. Beinahe glaubt man, der Faden kann nicht lange halten, doch je näher man dem selbsterdachten Ende seines Lebens mit Hilfe der Zeit kommt, um so offenbarer wird, dass dieser erste dünne Faden, immer noch da ist. Und dies, obwohl all die starken und farbenprächtigen, anscheinend sicheren Fäden, dem Halter Stärke, Gewinn und auch Glück versprachen. Gar letztlich derart mit verführerischen Vorstellungen lockten, dass sie in ihrer Üppigkeit nach und nach den Ersten reinen Faden, beinahe vollständig vor des Menschen Augen in seiner Hand verbargen. Und dabei glänzten und schimmerten die Fäden in allen Farben, auch sich goldig und silbern Gebende waren mit von der Partie. So hatte auch jeder Part seine neuartigen Reize, doch keinen einzigen dieser schillernden Fäden, legte sich der Mensch aus reiner Liebe in die Hand. Nicht etwa, weil es ihm an Gelegenheiten dazu gemangelt hätte. Nein, dies war nicht Grund. Er sah sie einfach nicht, diese Tür in seinem Jetzt, die beständig offen steht und unbeirrbar zur Liebe führt. Die Blindheit für seine Wirklichkeit hat den Menschen vorübergehend zu einem Fadenhalter werden lassen, der sich am Ende eingestehen muss, dass jener dünne Faden, denn er einst aus den Augen verlor, wohl tatsächlich der Einzige wahr, welcher alles enthielt, was ein gänzlich liebenswertes und gänzlich liebendes Leben jemals wirklich nötig hat, um zu sein.

Und während sich der Mensch, diesen kaum sichtbaren Faden in seiner Hand wohl erstmals liebevoll anschaut, umso wärmer wird es ihm in seiner Mitte, und er fühlt den Frieden in sich. Auch kann er weiter und tiefer Schauen, als es ihm gewohnter Maßen möglich schien. Dann erkennt er, dass dieser beinah unsichtbare Faden, ursprünglich von seiner Mitte kommt, bevor er in die rechte Hand gleitet. Er selbst hat den Faden also nicht gemacht und auch nie wirklich in der Hand gehabt. Den unscheinbaren Faden, mit dem er verbunden ist, und so sehr sich der Mensch auch reckt und streckt und wie ausdauernd und weit er auch schaut, sein Blick kann ein Ende des zarten Fadens nicht ausfindig machen. Doch dafür sieht er im Jetzt und mit sich erweiterndem Erstaunen, dass dieser Faden mit allem und mit jedem, was in seinem Leben lebendig wirkt, verbunden ist.

Nun ist er wach, der Mensch. Und er zieht sanft an dem Faden, um zu sehen, ob etwas passiert. Woraufhin jener, der ihm in diesem Moment am nächsten steht, sich ihm zuwendet und lächelnd sagt: Schön, dass du da bist, denn gerade eben hab ich an dich gedacht. Der Mensch lächelt zurück, genießt den Moment mit Leichtigkeit genau so, wie er ist. Und plötzlich empfindet er tiefe Gewissheit in sich, dass nur dieser eine Faden wirklich bedeutsam ist, da er den Menschen mit allem vereint, was er jemals brauchen kann und wünschen wird. Nun ist er froh, der Mensch. Froh darüber, dass er diesen einen Faden nicht in der Hand hält, dieser wahrlich schon immer in der Hand der Liebe lag und liegt. Jener Liebe, die das Leben schenkt, schützt, behutsam trägt und niemals schläft.

.Zur Erinnerung