Schönheit

von Luxus Lazarz

.

Es gibt eine lange Zeit im Leben ungezählter Menschen, in der man glaubt zu wissen, was die Liebe ist. Dieser Zeit folgt oft eine andere, in welcher der Mensch darüber hinaus, nun auch zu wissen glaubt, was die Liebe alles nicht ist.

Offenbar ist gewiss, dass die Liebe ihr Kind – wie sich selbst erschaffen hat. Der Geist der Liebe gab dem Kinde einen Namen und die Schöpferkraft. Doch auch des Geistes Quelle konnte nur die Liebe sein, genau wie es auch jene – des Kindes ewig bleibt.

*

Als Karin im Frühling des Jahres 2005 ein weltlicher Schatz ins Haus geliefert wurde, verliebte sich derart in diesen, dass es ihr beinahe unmöglich schien, ohne ihn zu sein. Selbstverständlich nur beinahe, denn dass sie sehr wohl auch allein glücklich sein konnte und es unbewusst schon immer gewesen war, hatte sie bereits drei Jahre zuvor entdeckt. In ihrem Leben, in sich selbst, in der lichtvollen Erinnerung an vielerlei Erfahrungen, wo wohl sonst?

Der Schatz entführte Karin auf eine Insel. Sodass die Liebe sich erweitern konnte, denn tagelang waren sie ganz für sich allein. Die Insel erschien ihr wie das Paradies auf Erden. Die Sonne sah man dort alltäglich und allgemein hatte Karin das Empfinden, dass das Licht hier heller strahlte, als anderswo gewohnt. Zumal in der Nacht auch noch tausende Sterne am Himmel funkelten, und es keine wirkliche Dunkelheit gab, in der sich nichts erblicken ließ. Karin war verliebt, sie hatte ein Licht in der Welt gefunden und es begleitete sie, ganz ohne Forderungen.

Viele schöne und zauberhafte Orte, konnte der Schatz Karin zeigen, da er bereits eine Handvoll Jahre auf der Insel heimisch war. An einem angenehm warmen Tag fuhr der weltliche Schatz mit Karin in eine Bucht im Westen des irdischen Paradieses. Dort sahen sie sich den unglaublich intensiven Sonnenuntergang an – während sie direkt am Meer auf einem Felsen standen. Es war so schön, dass Karin stetig mehr dicke Tränen über die Wangen schwammen. In diesem Anblick floß die Liebe in ihr über, und sie empfand unglaubliche Dankbarkeit – für die vollkommene Schönheit des Erlebten. Und dennoch tauchte wieder einmal ein Anflug von Scham in ihr auf, und so entschuldigte sie sich beim Schatz, dass ihr die Gefühle derart entgleisen konnten. Da lächelte dieser nur und sagte, dass er froh sei über Karins offensichtliche Gabe, sich vom Schönen ergreifen zu lassen, es tatsächlich zu sehen und zu fühlen.

* *

Vor vielen Jahren, als die Welt sich noch den Anschein gab, total in Ordnung zu sein, hatte ein ehemaliger Chef von Karin einmal einen Ausspruch von Meister Goethe zitiert, der ihr im Verständnis einige Rätsel aufgab. Zwischenzeitlich hatte sie mittels eigener Erfahrung gelernt, erfühlt, erkannt, was der Hinweis darauf, dass wahre Schönheit keinerlei Begehren erwecke, andeuten sollte. Ein früheres Verständnis hätte ihr vermutlich mancherlei Schmerz und Enttäuschung erlassen, denn viele Jahre hatte Karin in ihren Beziehungen, das Begehren mit Liebe verwechselt und dafür an der Liebe jener gezweifelt, die sie aus ihrer Sicht – nicht oft genug begehrten. Auch, dass nicht nur das Sichtbare von anderen Menschen – als schön empfunden werden konnte, sollte sie erst auf der Insel erfahren. Worte, Gesten, das einfache Dasein mit dem Anderen und dessen Gedanken, all dies offenbarte Karin dort ebenfalls, die liebeleichten Ausdrucksformen – der unnachahmlichen Schönheit. Dies zu erkennen, dafür ist es nie zu spät, das wusste Karin jetzt.

* * *

Alles ohne Vergleich wahrnehmbare Schöne, stillt jeden Gedanken im Menschen. Zum Beispiel auch der strahlend blaue Himmel, macht sich dem Menschen in seiner absoluten Schönheit einsehbar. Darüber hinaus strahlt das Schöne, gleichgültig in welcher Form und Gestalt, oft einen Frieden, beziehungsweise lichtvolle Stille aus, die dem Betrachter als nicht von dieser Welt stammend anmuten.

* * * *

Stell dir einmal vor, dass das Wesen, welches uns, also all seine Kinder, auch im Schlaf beatmet, wahrlich reine Liebe ist. Und nun sei dir dessen gewiss, dass Liebe immer schön ist. Was du selbst daraus machst, welche Form, Tat und  welches Urteil ein Mensch der Liebe auch andichten mag, diese selbst bleibt davon unberührt. Denn die reine Liebe, lässt sich nicht maskieren. Alles gleitet in ihr ab, was nicht das Wahre ist. Wird an anderer Stelle aufgefangen und gereinigt, um es für weitere Gaben einzusetzen. Ohne Anfang und Ende in sich gebend, bleibt die Liebe derart unbeschreiblich schön, wie sie es schon immer war und ewig sein kann.

.