Erfolge

von Luxus Lazarz

(… und wie sie gemacht werden)

 

Ich erinnere mich daran, wie es mir das 1. Mal gelang, auf den fahrenden Bus aufzuspringen, der Bestandteil des Ensembles in einem Kinderkarussell war, das meiner Oma gehörte. Der Bus war darin die größte Mitfahrgelegenheit und konnte 8 Kindern einen Sitzplatz bieten. In seinem Inneren waren an den Wänden Bänke befestigt und es gab selbstverständlich, auch einen Fahrersitz mit Lenkrad, ein Gas- und Bremspedal und natürlich auch eine große altmodische Hupe. Zu allen Fahrzeugen gehörte eine Hupe oder Klingel. Desweiteren konnte man im Kinderkarussell in einer Feuerwehr fahren, dann waren da noch zwei Autos, die wie Raketen aussahen, mehrere Motorroller und vier ganz gewöhnliche Fahrzeuge, die dem Aussehen von Cabrios aus einer früheren Zeit entsprachen.

Damals war ich 6 Jahre alt, und wenn ich wollte, durfte ich die Karten am Kinderkarussell einsammeln, bevor die Fahrt abging. Das Karussell war für mich als Kind etwas ganz Gewöhnliches, denn es existierte schon, bevor ich geboren wurde. Für eine Stunde Fahrkarten einsammeln bekam ich eine Mark von der Oma. Dafür kaufte ich mir dann meistens vier Lose an der Tombola, die ebenfalls der Oma gehörte.

Das Auf- und Abspringen während der Fahrt hatte ich bei den jungen Männern gesehen, welche die Fahrkarten auf der Berg-und-Tal-Bahn meines Onkels einsammelten. Da ging es richtig zur Sache, denn dieses große Fahrgeschäft für Erwachsene, fuhr selbstverständlich viel schneller seine Runden, als es dem Kinderkarussell möglich war. Erst bewunderte ich nur, dann beobachtete ich, und schließlich fragte ich einen der Angestellten, wie sie das machten, dieses Auf- und Abspringen, während die Gondeln am stehenden Beobachter vorbeirasten. Ich bekam die Auskunft, dass es wichtig sei, niemals in Fahrtrichtung abzuspringen. Man sagte nicht warum, doch ich merkte es mir gut.

Dann begann ich zu versuchen. Das Aufspringen bei geringer Geschwindigkeit, also beim langsamen Anfahren des Karussells, gelang mir total leicht, denn die erste Runde verlief in Schrittgeschwindigkeit. So wurde ich mutiger und lernte ebenfalls, bei höherer Geschwindigkeit aufzuspringen. Mit dem Absprung zögerte ich da noch. Damals empfand ich die Geschwindigkeit auf dem Höhepunkt der Fahrt, doch sehr rasant. Man bekam Fahrtwind in das Gesicht und der Laufweg um das Karussell herum, sowie die schmalen Stützpfosten am Rand, welche das Dach aus Segeltuch hielten, konnte ich nur noch flüchtig wahrnehmen. Beim ersten Versuch wählte ich eine ungünstige Position, weil ich dachte, dass der Absprung in unmittelbarer Nähe eines Pfostens, mir den sichersten Halt garantieren würde. Der Halt war auch tatsächlich sicher, doch der Aufprall umso heftiger. Danach hatte ich tagelang eine große Beule auf der Stirn und begnügte mich beim Ab- und Aufspringen mit dem mittelschnellen Tempo.

Wenige Tage nach dem Verschwinden der Beule, versuchte ich es erneut. Diesmal gelang es. Drei weitere Ausführungen brachten mir noch mehr Gewissheit, dass ich es nun konnte. Erst ab diesem Moment, als mir das Auf- und Abspringen in gewisser Weise zu einer lässigen Routine wurde, bemerkte ich die bewundernden Blicke des einen und auch anderen Kindes, die auf dem Kinderkarussell als zahlende Gäste mitfuhren. Das hat mir gut gefallen.

In der Pubertät wurde ich dann etwas übermütig und wollte nun unbedingt auch, während der Fahrt auf die Berg-und-Tal-Bahn des Onkels springen. Dies war ein wahrhaft gefährlicher Wunsch, da die Rollen der Gondeln aus Stahl bestanden und auf einer stählernen Schiene liefen, die direkt mit dem lediglich 70 Zentimeter breiten Laufsteg zum Ein- und Aussteigen verbunden war. Wenn man beim Springen zwischen die Gondeln geriet, war es wahrscheinlich vorbei, mit aller Heiterkeit. Doch dies war noch nie passiert und deshalb lernte ich auch das. Die höchste Geschwindigkeit habe ich an diesem Karussell nicht in Angriff genommen. So vernünftig war ich dann doch, eventuell hatte ich jedoch auch nur Angst, mein Gesicht zu beschädigen.

Die scheinbar nutzlose Fähigkeit des Auf- und Abspringens während der Fahrt, erwies sich für mich dann tatsächlich noch etwa 10 Jahre später desöfteren als nützlich. Seit der Einschulung wohnten meine Eltern mit mir in Berlin. Dort gab es die vielen langen S-Bahnsteige. Und als die Türen der S-Bahn noch Griffe hatten und sich auch während der Fahrt von innen öffnen ließen, bin ich tatsächlich etliche Male aus der am Bahnsteig einfahrenden Bahn abgesprungen, einfach um näher am Ausgang zu sein. So sparte ich wertvolle Minuten und entging dem Gedrängel und der Enge auf den Treppen, verpasste nie die Straßenbahn oder einen Busanschluss.

Nachdem ich nun beschrieben hab, wie es begann, will ich auch das Ende nicht vorenthalten. Im Alter von 26 Jahren – also zweimal 13 – war ich beim Absprung nicht so aufmerksam und konzentriert, wie all die Male zuvor. Etwas hatte mich innerlich abgelenkt und so sprang ich spontan ab, als der Ausgang an mir vorbeiflitzte. Ich sprang das erste Mal in Fahrtrichtung. Eine Dummheit, die den Springenden sofort im Sprung stoppt. Nach einigen ungewollt riesigen Schritten, stolperte ich und fiel auf Hände und Knie. Rechts neben mir glitt weiter die S-Bahn langsam vorbei, bis sie schließlich anhielt. Dann öffneten sich die Türen und alle schauten mich an. Es war ein unglaublich peinlicher Moment, den ich mir da selbst geschenkt hatte. Letztendlich gelang es mir, große Dankbarkeit dafür zu empfinden, dass ich an diesem Tag lange Hosen trug. Das beflügelte mich beim Aufstehen. Und obwohl ich, bis auf einige Kratzer und blaue Flecken, keinen Schaden davontrug, hab ich es ab da, nicht wieder getan.

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Auf dem Land bauen wir auf – DDR 1965