Bewusst sein

von Luxus Lazarz

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Im Verlauf der letzten beiden Jahrzehnte meines Lebens, wurden mir wiederholt Erfahrungen zuteil, in denen mir Erwünschtes in undenkbarer Art einfach angeboten wurde, ohne dass ich zuvor dafür etwas getan hatte, außer es in mir zu wünschen. Jeder hat wahrscheinlich schon Derartiges erlebt. Doch nur wenige gehen den Dingen bis auf den Grund, erinnern sich bewusst – an jene – der Situation vorausgehenden Vorgänge, und zwar in ihrem Innersten. Was man zuvor tat, was man wünschte, womit man sich in Gedanken beschäftigte – all das offenbart Zusammenhänge, welche die Vorfälle im eigenen Leben durchschaubarer sein lassen.

Es leuchtet ein, dass ein Mensch, der sich seiner selbst nicht bewusst ist, sich dem – was er wirklich ist – gar nicht nähern kann. Vieles, was als unterbewusst bezeichnet wird, ist meist nur unbewusst mit im Spiel unserer Entscheidung. Also in Wahrheit einsehbar. Nichts bleibt uns verborgen, wenn wir es wirklich brauchen, danach fragen oder um Offenbarung bitten.

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In meinem Leben zeigte sich bis vor wenigen Jahren desöfteren eine Fehlfunktion meiner Erinnerung, was mich unsicher machte. So musste ich häufig die Wohnungstür wieder aufschließen, um noch einmal zu überprüfen, dass ich auch wirklich den Herd ausgeschaltet hatte, das Fenster geschlossen, die Blumen gegossen oder überhaupt die Tür verriegelt war. Ich hielt mich in diesen Momenten für vergesslich, für schusselig, für hoffnungslos. Doch dann beobachte ich bei einer Freundin, die ständig ihren Schlüssel suchte, wie es zu einer Suche kam.

Nachdem wir die Wohnung der Freundin betreten hatten, ging ich in die Küche und blickte von dort in den Flur. So sah ich, wie die Freundin nicht hinsah, als sie die Schlüssel ablegte. Ich hörte das Klappern des Bundes, während meine Freundin sich vor dem Spiegel die Haare richtete und gleichzeitig zu mir sprach.
Als wir zwei Stunden später die Wohnung wieder verlassen wollten, suchte die Freundin wie immer den Schlüssel. Sie suchte überall. Obwohl ich wusste, wo der Schlüssel lag, beobachtete ich mit Interesse den Vorgang. Einmal stand die Freundin sogar direkt vor dem Schlüssel, doch sie sah ihn nicht. In ihrer Erinnerung war noch das Bild vom leeren Tisch gespeichert, wie ihre Hand den Schlüssel ablegt hatte, konnte gar nicht in ihrer Erinnerung sein, denn sie hatte es weder gesehen noch bewusst gehört. In jenem vergangenen Moment sah sie in den Spiegel und erzählte mir von einer Idee, während ich mich selbst – durch sie – in der Situation sah, also der Ursache für die mir rätselhafte Vergesslichkeit auf die Spur kam.

Das war eine coole Erfahrung. Dennoch dauerte es noch ein paar Wochen, bis ich nicht mehr zurückgehen musste, um irgendetwas zu kontrollieren. Irgendwie kann man wohl nicht so direkt dauerhaft vollständig bewusst sein. Doch Schritt für Schritt ist es möglich, denn irgendwann ist jeder Braten gar.

So kann ich für mich erkennen, ich bin Bewusstsein für das – was ich tue oder auch – was getan wird durch mich.

Dann ging es weiter. Nun machte ich mehrmals in kleineren Abständen die Erfahrung, wie ich bewusst bei der Sache war, während ich die Haustür abschloss. Als ich dann jedoch – nur eine Minute später – im Auto saß und mein Freund mich fragte, ob ich denn auch abgeschlossen hätte, war mit einmal wieder die Unsicherheit da. Das ließ mich erneut zum Beobachter mutieren. Und so kam ich zu der Erkenntnis, dass bereits die eine Minute von der Tür bis zum Auto genügte, mich gedanklich vom unlängst Vergangenen total abzulenken. Vergessen war das Bild der Tür, wenn ich zum Auto lief. All die Eindrücke des Weges, viele Tauben, das Feld mit dem Mohn, die weißen Wölkchen am Himmel, wie viel Blicke, wie viel Schönheit und Farbe – doch in nur einen Moment passt, erstaunt mich immer wieder. All dies hatte sich über das Bild vom Türschloss gelegt. Und als der Freund fragte, konnte ich mich nicht mehr daran erinnern.

Auch das ist nun Vergangenheit, darüber hinaus gelang es mir zu akzeptieren, dass scheinbare Fehler im Leben, nun mal einfach dazugehören, denn es sind ja letztendlich unsere hauseigenen Erkenntnisquellen.

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Das Bewusstsein für die eigene Präsenz, für das – was man wirklich ist – erscheint am Leichtesten zugänglich, wenn ich bei mir bleibe, in mich fühle. Mir innerlich dessen gegenwärtig bin, was auch ohne mich ist, während mein Blick im Raum fündig wird. Und immer öfter geschieht es dann, dass jenes zu mir, dem Menschen, hingezogen wird, was der Blick umfing, das Denken erforschte, die Sehnsucht mir fühlbar machte. All das schlendert gemächlich nun auf mich zu, während ich, also der Mensch, tief und frei atmend im Körper verweile. Einfach so empfange, was mir dank meiner Vorstellungskraft für den Moment als passend erschien. Und derart unendlich, wie dem Verstand die Ewigkeit dünkt, zeigt sich auch die Zahl der vorübergehenden Erscheinungen darin. Ist man sich dessen gewiss, gibt es nichts mehr zu fürchten, doch dafür unendlich viel – was geliebt werden kann.

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