Von Pfaden und Wegen

von Luxus Lazarz

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Die beiden Menschen gingen am Ufer des Flusses spazieren. Das Wasser im Fluss zeigte sich glatt und still, einem Spiegel gleich, über dem am Horizont die Sonne schwebte. Ein Pfad aus goldenem Licht hatte sich auf dem Wasser gebildet und funkelte einladend. Während der Mann zielstrebig seinem Lieblingsplatz am Ende des Weges zustrebte, trödelte die Frau am Ufer entlang und berührte immer wieder im Vorübergehen, die herabhängenden Zweige der Eichen sowie die prachtvollen Pflanzen im breiten Streifen des Ufers. Auch der goldene Pfad auf dem Wasser, zog stetig neu ihre Aufmerksamkeit an und so blieb sie für einen Moment am Ufer stehen, denn sie kannte ja den Weg, wusste wo dieser endete und fühlte kein Drängen oder gar Eile in sich. Auf das Wasser blickend, nahm sie die dichte Lebendigkeit der Erde unter den Füßen wahr und fragte sich leise, ob das Wasser sie wohl auch tragen würde. Ein kleines Lachen entschlüpfte ihrem Mund, während sie sich den Blick des Mannes vorstellte, würde sie ihn einholen, tropfend, klatschnass bis zur Hüfte und in schmatzenden Schuhen. Das Bild verschwamm und sie blieb weiter dort stehen.

Wahrheit ist ein pfadloses Land.“, so hatte es einst Jiddu Krishnamurti  beschrieben und weitere Gedanken stiegen nun in ihr empor. Sie sah den Weg, auf dem sie stand und dachte daran, dass auch dieser einst ein Pfad gewesen sein musste. Ein Pfad, der in der pfadlosen Natur, von Menschen angelegt wurde. Eingetreten – in diese und hätte sich dies nicht wiederholt, wäre der Pfad wieder verschwunden. Zugewachsen, denn alle Spuren würde die Natur tilgen, ganz ohne Anstrengung, leicht und elegant. Um den Weg zu schaffen, auf dem die Frau sich befand, bedurfte es einst vieler Füße und steter Beharrlichkeit, genau dort entlang zu wandern. Erst so wurde es mit der Zeit ein Weg, aus nackter Erde gebildet, ein Stück Raum in der Natur. Dort konnte sich der Mensch bewegen und die Erde nahm es mit Gelassenheit hin.

Doch Jahr für Jahr musste auch der Weg, an den Rändern mehrmals beschnitten werden, da die Natur ihrem Anspruch auf Entfaltung und dies überwiegend lautlos, Geltung verschaffte. Denn kein Mensch wollte, dass zum Beispiel ein Radfahrer zu Schaden kam, wenn dieser die Ranken der Brombeeren nicht sah, da für ihn der Weg zweitrangig war, während seiner rasanten Tunnelfahrt. Wieder folgte ein Lachen. Sekunden danach, landete eine Amsel auf dem Weg und sah die Frau frech an. Rechts von der Amsel, am anderen Rand des Weges, blühte eine weitere Ranke und die Frau fragte sich, wie diese Pflanze wohl hieß. Es fiel ihr nicht ein. Sie wusste es tatsächlich nicht. Überraschender Weise veränderte sich daraufhin jene Stimmung, mit der sie bisher den Tag wahrgenommen hatte. Zweifel stiegen in ihr auf. Zweifel an der Nützlichkeit all des Wissens, wenn man erkennt, dass man lediglich weiß, was es nicht ist.

Die Pflanze blühte weiter, duftete himmlisch, doch zwischen die Frau und jene Wirklichkeit, hatte sich ein Schleier aus farblosen Gedanken geschoben. Für Minuten schien sie blind und taub, für all die Schönheit und Gnade um sich herum. Dem Leben sei Dank, hielt der Moment nicht lange an. Auf dem Weg lag ein Stein, über den sie leicht stolperte. Das Stolpern brachte sie nicht aus dem Gleichgewicht, sondern lediglich in das Jetzt zurück, wo sie genug wusste, sah und fühlte, um sich mit Leichtigkeit, an aller Lebendigkeit zu erfreuen.

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Da, die von mir gewählten Wege, überwiegend in landschaftlich prachtvollen Gebieten liegen, begegnen mir am Rande des Weges, in vielfacher Anzahl Amseln, Möwen, Enten, Perlhühner, Fasane, Stare, Schwäne, Hasen, Rehe, Katzen sowie wenige Menschen, mit noch weniger Hunden. Das gefällt mir ganz besonders gut, zumal ich in keiner Weise privilegiert, monetär reich oder sonst wie gehobener Abstammung bin und mich dennoch alltäglich, in einem wahrhaft königlichen Reich bewegen kann. Wobei es sich auch hier, um einen vergessenen Wunsch aus der Kindheit handelte, dessen Erfüllung in einem stillen Jetzt – überraschend spät bemerkt wurde.

Doch, wie heißt es so passend: Besser spät – als nie. Dass Allerbeste jedoch ist, es gibt in der Natur –  so gut wie nichts zu lesen. Nur Düfte und Schönes zu sehen, zu fühlen, zu hören, zu bestaunen, wert zu schätzen und zu lieben, solang das Leben sich anbietet, mit dir und mir zu sein.

So eben wird mir bewusst, dass die Natur mir noch nie eine Frage stellte, doch in den letzten Jahren, mir ungezählt viele beantwortet hat. Bin ich etwa tatsächlich 10 Jahre in die falsche Schule gegangen? Eine Schnecke schiebt sich langsam über den Weg vor meinen Füßen. Was soll mir das bloß sagen?

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